Vortrag zum Gästeabend am 11.1.2019
Die Alten Pflichten
Am 24. Juni 1717, zum Johannisfest, vereinigten sich vier Freimaurerlogen in London und Westminster und gründeten die erste Freimaurer-Großloge der Welt. Aus diesem Anlass wird am 30. Juni in der Aachener Citykirche das 300hundertjährige Bestehen der Freimaurerei unter einem Dachverband – gefeiert – wie an vielen anderen Orten auch. Die Freimaurerei existierte indessen schon eine geraume Zeit länger. Und es gab Logen, in die auch Frauen aufgenommen werden konnten.
Für diese neue Großloge erteilte der erste englische Großmeister Herzog John von Montagu im September 1721 dem schottisch-presbyterianischen Prediger James Anderson den Auftrag, aus alten gotischen Konstitutionen eine neue Konstitution zu verfassen. Im Jahre 1723 legte der Geistliche die erste gedruckte und veröffentlichte Sammlung von Gesetzen und Konstitutionen, die Old Charges oder auf Deutsch die Alten Pflichten der Freimaurer der jungen Großloge vor. Diese fanden Genehmigung. Sie bilden sozusagen das Grundgesetz der regulären Freimaurerei.
Zitat aus Freimaurer-Wiki
Die auf Andersons Fassung zurückgehenden Alten Pflichten stellen einen Kompromiß dar: sie wollen einerseits durch Übernahme alter Formeln und Gebräuche den Zusammenhang mit den alten Manuskripten der Steinmetzenbruderschaften aufrechterhalten, lassen aber anderseits durchblicken, daß sie einem neuen Zweck, nämlich der brüderschaftlichen Vereinigung von Männern, dienen sollen, die nicht mehr materiell mit Spitzhammer und Meißel arbeiten. Nach ihrem ganzen Aufbau sind sie ungeeignet, wörtlich als Satzung eines Bundes unserer Tage hingenommen zu werden.
Hier sollen jetzt nicht die „Alten Pflichten“ auf ihre damalige und heutige Qualität und Brauchbarkeit hin genau untersucht werden. Im Laufe der Jahrhunderte hat es immer wieder unterschiedliche Auslegungen gegeben. Versucht man die Alten Pflichten vor dem Hintergrund der Zeit zu verstehen, ergeben sich bis heute gültige erstaunlich liberale und tolerante Grundregeln, die insbesondere in der humanitären Freimaurerei bis heute Gültigkeit haben und den besonderen Geist der Freimaurerei ausmachen. Jeder reguläre und anerkannte freimaurerische Logenverein richtet sich nach ihnen.
So auch mehr als 30 Frauenlogen in Deutschland.
Man beachte jedoch, dass der im III. Abschnitt seiner Old Charges betitelt „Von den Logen“ den Frauen lange Zeit einen Riegel vor die Freimaurerei setzte.
So gilt es im Abschnitt III „Von den Logen“ zu lesen, was heute vielleicht noch als grober Herrenwitz anmuten mag:
Diejenigen, welche zur Mitgliedschaft einer Loge zugelassen werden, müssen gute, wahrhafte, frei geborene Männer von reifem und verständigem Alter, keine Leibeigenen, keine Frauenzimmer, keine unsittlichen oder anstößigen Menschen, sondern von gutem Rufe sein.
Weibliche Mitglieder der Gesellschaft finden sich in einer Reihe genannt zwischen Leibeigenen und unsittlichen, anstößigen Menschen und wurden so auf eine Stufe mit sozial Deklassierten gestellt.
Zitat: „Der Ausschluss der Frauen durch die Alten Pflichten rief bereits nach deren Veröffentlichung bei der englischen Bevölkerung Unverständnis und Ablehnung hervor. Die Freimaurer wurden als schlechte Ehemänner und sogar als Frauenhasser bezeichnet.“
So schreibt Guntram Seidler in seinem Buch Frauen und Freimaurerei : Zur Geschichte der femininen Freimaurerei.
Sicherlich muss man die Zeit mit berücksichtigen, in der Anderson „Die Alten Pflichten verfasste. Wie rückschrittlich auch schon für die damalige Zeit diese Formulierung im Kapitel III der alten Pflichten war, zeigt das Bestehen der vielen Salons, die vor allem im französischen Raum sich schon seit dem 16. Jh bildeten. Wohlhabende und gebildete Frauen, oft adeliger Herkunft, betätigten sich als Gastgeberinnen und wurden in dieser Eigenschaft Salonnière genannt. Der Salon diente dem freien Ideenaustausch, ungeachtet der Schranken von Klasse und Geschlecht, und förderte die Aufklärung. Philosophen wie Voltaire oder Diderot verkehrten in den Pariser Salons und bereiteten dort den Boden für die Französische Revolution. Was sich die Freimaurerei auf ihre Fahnen schreibt, die Aufklärung voran getrieben zu haben, war ein Produkt männlicher und weiblicher Geistestätigkeit und Geistesschärfe.
In Deutschland kam der Literarische ! Salon im 18. Jahrhundert als Ort bürgerlicher Geselligkeit in Mode. Es ging dort nicht um Geselligkeit, sondern um Lesen und Aufklärung. Gerade war der Buchdruck erfunden worden und es gab Zeitungen, Bücher, Texte, Wissensbegierde. Unter vielen möchte ich hier Rahel Varnhagen von Ense nenne, eine deutsche Schriftstellerin jüdischer Herkunft. Zwischen 1790 und 1806 führte sie ihren Salon, in dem Dichter, Naturforscher, Politiker, Gesellschaftsgrößen und Aristokraten auf einer Ebene miteinander verkehrten. Rahel Varnhagen gehörte der romantischen Epoche an und vertrat zugleich Positionen der europäischen Aufklärung. Gleichzeitig trat sie für die Emanzipation der Frauen ein.
((Berühmte Gäste waren Jean Paul, Ludwig Tieck, Friedrich von Gentz, Ernst von Pfuel, Friedrich Schlegel, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Friedrich de la Motte Fouqué, Prinz Louis Ferdinand und dessen Geliebte Pauline Wiesel. Während der Befreiungskriege 1813 organisierte sie die Versorgung der Verwundeten aller Kriegsparteien in Prag und sammelte Spenden für die Hinterbliebenen. ))
Wer sich heute entschließt, in eine Frauenloge einzutreten, entschließt sich allerdings gleichzeitig dazu, die Männer außen vor zu lassen. Hier folgen wir den „Alten Pflichten“ auf Augenhöhe mit den Männern. Wir Frauen sind stolz darauf, dass viele Werte der heutigen Gesellschaft – das humanistische Menschenbild, Literatur, Musik und Architektur sowie viele unserer demokratischen Gemeinschaftsformen und pluralistischen Einstellungen – durch das Engagement von Freimaurern und namhaften Frauen aus dem Umfeld der freimaurerischen Kultur über Jahrhunderte hinweg mit entwickelt wurden. Mit solchen Überlegungen fühlen wir uns dem Geist der Aufklärung Freiheit, Gleichheit, der Emanzipation, der Gleichberechtigung und der Brüderlichkeit / Schwesterlichkeit verpflichtet.
Für den notwendigen „Spielraum“ zur Identitätsentwicklung genießen wir die Vorteile einer getrennt geschlechtlichen Gemeinschaft . Wir können in einer Frauenloge vom Wissen und „Mehr“ anderer Frauen lernen und Solidarität, Vertrauen und Verlässlichkeit erfahren.
Steinmetzzünfte
Wie wir ja alle wissen, ist die spekulative Maurerei aus der operativen hervorgegangen, aus den Steinmetzbruderschaften und deren Bauhütten. Anfangs waren die organisierten Handwerker mit den Klöstern, namentlich denen der Benediktiner, eng verbunden (etwa 9. Jahrhundert), machten sich aber später unabhängig und schlossen sich dem Bund deutscher Steinmetze unter der Leitung von vier Haupthütten an, unter denen die Straßburger Hütte eine herausragende Stellung einnahm. Sabina von Steinbach soll dort im 13. Jh. eine Steinmetzin gewesen sein. Sie war die Tochter des Baumeisters des Straßburger Münsters, Erwin von Steinbach. Eindeutig dokumentiert ist, dass Witwen und Töchter von Bauleuten in bestimmten Fällen in die Bauzünfte aufgenommen wurden. Das Zunftwissen, ihre Bräuche und Gesetze, Zunfttraditionen, Passwörter, Erkennungszeichen dürfte ihnen bekannt gewesen sein.
Die Symbolik der Freimaurerei stammt aus dieser Zeit und ist bis heute lebendiger Bestandteil unserer aller Arbeiten.
Häufig werden wir Freimaurerinnen gefragt, ob die Freimaurer Symbolik nicht eine allzu männliche sei: wie Spitzhammer, rauer Stein, Winkel und Zirkel, das Lot, die Winkelwaage. Ich frage mich dann jedesmal, ob der Frager meint, dass jeder Bruder mit diesen Werkzeugen beruflich handwerklich unterwegs ist oder ob die Fragerin selber noch nie handwerklich tätig war.
Schon immer haben Frauen hart anpacken müssen und waren Meisterinnen im (Wieder)aufbau.
In der spekulativen Freimaurerei geht es aber ja auch gar nicht um Muskelspiel.
Steinmetze waren gleichsam zu ihrem künstlerischen Ideenreichtum hervorragende Mathematiker und Konstrukteure. Architekten, Bauing. würde man heute sagen. Schaut man im Internet unter den Stichwörtern „Berühmte Mathemtikerinnen oder berühmte Wissenschaftlerinnen“-, so findet man eine riesige Anzahl, von denen man kaum die Namen kennt und nur wenige zu Berühmtheit gelangen konnten.
Am Fortschritt waren im Laufe der Kulturgeschichte immer Frauen beteiligt, die in der Geschichtsschreibung oft unerwähnt bleiben. Angesichts dieser Tatsache übernehmen Freimaurerinnen nicht einfach nur die Tradition eines Männerbundes, sondern knüpfen an eine ebenso beeindruckende wie motivierende Geschichte von Frauen an.
Heute gibt es Mathematikerinnen, Wissenschaftlerinnen, Handwerkerinnen, Architektinnen, Bauingeneurinnen… Die Gleichberechtigung hat viel erreicht, jetzt sind auch noch die Logen dran……………..
Der Beruf ist jedoch nicht ausschlaggebend für die Aufnahme in eine Frauenloge. Frauen, die freimaurerisch arbeiten, kommen aus den unterschiedlichsten Berufen und Lebenshintergründen, sehr unterschiedliche Frauen, die sich im täglichen Leben vielleicht nicht begegnen würden. Hier bietet sich das ideale Übungsfeld zur Toleranz in der Wertschätzung menschlicher Begegnung und gegenseitiger Anregung.
Ihre Begegnung in der Loge setzt viel Denkpotential frei. Um es mit Schiller zu sagen: Es ist ein „gemeinsames Nachdenken mit Freunden/wir sagen Schwestern.“
Wir denken gemeinsam über verschiedenste Themen nach und versuchen dabei, auch ein wenig den wissenschaftlichen Stand der Forschung einzubringen.
Denn wie in den Männerlogen – wer sich für die Mitarbeit in einer Loge entscheidet, ist entschlossen, sein Leben und seine Zukunft auf Erneuerung, Verbesserung und Vertiefung auszurichten. Die rituelle und symbolische Arbeit bietet Zeit und Anlass, bewusster dieses als Entwicklungsaufgabe für sich selbst anzunehmen. Mit dem rituellen Handeln einher geht wie in den Männerlogen der Erwerb von rituellem Wissen, das nicht nur Informationserwerb darstellt oder reines Faktenwissen. Die maurerische „Werkstatt“ hat Übungs- und Laborcharakter und vermittelt Erfahrungs- und Handlungswissen und dient
damit der Vorbereitung auf den Alltag.
Die freimaurerische Arbeit soll wie in den Männerlogen, uns dazu befähigen, im Alltag ethisch zu handeln und einen aktiven Beitrag zur Verbesserung menschlicher Lebensumstände und gesellschaftlicher Strukturen zu leisten. So arbeiten Männer und Frauen an dem großen Bauwerk, dem Tempel der Humanität…
Jede und jeder von uns – Schwester und Bruder– ist als denkender und fühlender Mensch Mitgestaltender in einer sich dramatisch verändernden Welt, die nach zeitgemäßen Impulsen, Ideen und maßgerechten Ordnungen verlangt, wenn sie menschlich bleiben will.
Im Gegensatz zu Deutschland wurden in England und Frankreich bereits im 19. Jh. Frauenlogen gegründet. In Deutschland feierte 1949 im Logenhaus Wilmersdorf Berlin der erste deutsche Frauenzirkel „Zur Humanität“ seine Gründung.